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Leseprobe 3

Mario auf der Flucht

Als Mario auf seinem erstaunlich flinken Kuschelbaum N'Bongoo in die Ebene mit ihren Äckern und Wiesen ritt, stellte er verwundert fest, wie weit der Herbst schon Einzug gehalten hatte. Die Felder waren abgeerntet, auf den gelben Flächen lagen riesige Plastikpillen verstreut, luftdicht verschlossene Silageballen, in denen die abgeernteten Pflanzenteile schon gärten. So ähnlich haben wohl unsere Kokons auch ausgeschaut, dachte Mario.
Als hätte der N'Bongoo seine Gedanken gelesen, sagte er: »Auch ihr beide wärt längst in Gärung übergegangen, wenn ich euch nicht verkleinert hätte.«
»Werden wir Rado jemals wiederfinden?«, fragte Mario laut, doch der N'Bongoo antwortete nicht.

In der Ferne lag ein einsamer Bauernhof, umgeben von entlaubten Bäumen, die aber aussahen, als trügen sie dicke, grüne Muffs und gefilzte Knie- und Ellenbogenschoner – gehäkelte Bandagen aus Efeu. Wehmütig dachte er an seine Baumfreundin Hallucia, die ihren Partner Äskulus an manchen Stellen ebenso liebevoll umstrickt hatte.
Als Mario auf seinem N’Bongoo näher kam, bemerkte er einen Mann, der unter die geöffnete Motorhaube eines altertümlichen Traktors schaute. Da waren auch ein Kind, das im Sandkasten spielte, und eine Bäuerin, die Gänse und Hühner fütterte.
Marios Magen knurrte. Wann hatte er zum letzten Mal gegessen?
Es mussten Monate seit dem letzten Salamibrot mit sauren Gürkchen vergangen sein. Ich sollte die Bäuerin nach nach Essen fragen.
Allerdings, würde sie sich nicht allzu sehr wundern über dieses winzige Kerlchen, das er war?
Oder noch seltsamer: ein winziges Kerlchen, das auf einem Bäumchen mit Augen ritt? Ein Bäumchen, das gar kein Bäumchen war, sondern nur die Gestalt eines Bäumchens angenommen hatte?
Doch dann fiel ihm ein, dass die Menschen den N’Bongoo ja gar nicht sehen konnten. Es war also besser, wenn er hier abstieg, denn ein schwebendes winziges Kerlchen war ja noch furchterregender als eines, das am Boden trippelte.
Als Mario näher gekommen war, fiel ihm auf, dass die Leute sich nicht bewegt hatten.
Der Mann schaute immer noch unter die Haube des Traktors, die Frau streckte immer noch eine Hand aus und das Kind hockte immer noch stumm auf einem der Stämme, die den Sandkasten bildeten.
Mario stellte sich zwischen Mann und Traktor.
»Hallo! Hören Sie mich? Was ist los?«
Grünliche Haare wuchsen dem Mann aus den Nasenlöchern und die Falten unter seinem Kinn waren überzogen von Moos.
»Gib dir keine Mühe, der spürt zwar deine Anwesenheit, aber er ist um das Zwanzigfache verlangsamt. Für ihn bist du nichts als eine Fliege, die ihn umsurrt.«
Eine Fliege? Stimmt, so fühlte er sich. Klein und hilflos. Er rannte zu der Bäuerin, die Hühner stoben auseinander, aber die Gänse ließen sich nicht nur nicht stören, sie schienen sehr interessiert am Zwerg Mario. Schnatternd kamen sie herangewatschelt, die klappernden Schnäbel genau auf Höhe seiner Augen, sodass er ihnen durch die Speiseröhre fast in den Magen schauen konnte.
Mit Mühe ergriff Mario eine Mistgabel, die dreimal so groß war wie er und die am Rande eines Beets steckte. Damit hielt er die Gänse erfolgreich auf Abstand.
Die Frau war nicht nur in ihrer Bewegung erstarrt, sie hatte auch feine Wurzeln gebildet, genau, wie es wahrscheinlich bei seiner Mutter und Rados Vater inzwischen der Fall war.
Schmerzhaft erinnerte sich Mario an deren trauriges Schicksal. Wie es ihnen wohl gehen mochte?
Der N’Bongoo sagte: »Eure Eltern wurden nun schon zum zweiten Mal umgetopft. Bald passen sie nicht mehr in den Wintergarten der Villa. Aber was noch schlimmer ist: Reginald hat den ZetKaa und stellt mit seiner Hilfe identische Kopien des Zeiters her. Mit diesen rüstet er seine verbündeten Bäume aus und schickt sie in alle Himmelsrichtungen, um Menschen in Pflanzen zu verwandeln. Wer von den lebenden Zeitern erwischt wird, erstarrt in der Pose, die er oder sie im Moment des Zeiterschocks gerade einnimmt. Langsam wachsen die Menschen fest, es bilden sich Wurzeln, sie werden grün und erzeugen eine Rinde, sie warten auf Sonne und Wasser und aus ihren Körpern treiben Zweige mit Blättern und Blüten. Eigentlich gar nicht so schlecht, wie ich finde.«
»Weil du selbst ein Baum bist. Aber stell dir vor, ich würde dich in ein Äffchen verwandeln. Oder einen Waschbär. Oder einen Pelikan.«
»Mir wär’s egal. Wie ich dir schon sagte, ich habe für mich keine Form.«
»Wir müssen etwas tun! Rado finden. Den ZetKaa bergen«, rief Mario und rannte zum Haus.
»Pass auf, da könnten beschleunigte Pflanzen drin sein. Vielleicht ist es eine Falle.«
Die beiden bewegten sich vorsichtig zur offenen Tür; ahmten Fernsehkommissare nach, die ein verdächtiges, verlassenes Haus betreten – mit dem feinen Unterschied, dass sie keine Pistolen mit den theatralisch vorgestreckten Händen umklammerten.
Mario hielt stattdessen seine viel zu große Mistgabel im Anschlag, als handle es sich um ein Maschinengewehr.
Der N’Bongoo durchsuchte die Räume im Erdgeschoss, Mario schlich sich mit der Mistgabel nach oben. Das Haus schien verlassen, die Topfpflanzen und Geranien in den Blumenkästen rührten sich nicht.
Mario stöberte im Kühlschrank, aber außer ein paar Kohlrabi war alles verdorben, denn es gab keinen Strom im Haus. Doch oh Wunder, in der Speisekammer fand sich eine Kiste frisch geernteter Kartoffeln. Voller Vorfreude auf Pellkartoffeln heizte Mario den altertümlichen Herd an und setzte Wasser auf.
Der N’Bongoo war in den Dachboden gestiegen und beobachtete durch eine Luke die Gegend ringsumher.
Was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht.
»Mario! Der Feind ist im Anmarsch! Sofort alles verbarrikadieren!«
Mario rannte zum Fenster.
Hinter den Büschen bewegten sich die Wipfel eines Trupps junger Fichten.
Um sich den Rückzug offen zu halten, hatten die beiden beim Hereinkommen die Tür aufgelassen, die Mario nun schloss und verriegelte. Der N’Bongoo schob einen schweren Eichentisch heran, um ein Eindringen des Feindes zu erschweren.

(Ende der Leseprobe  3)

Leseprobe 4

Geschäftsmann Podoll im Berg

Die Koordinaten des Zentralcomputers unter dem Elfberg waren in das im Raumanzug integrierte Navigationsgerät eingegeben, der eingebaute magnetische Kompass zeigte Podoll, dass er auf dem richtigen Weg war. Nachdem er wie ein Maulwurf durch mehrere Gesteinsschichten gesurft war, erreichte er eine Tropfsteinhöhle mit vielen Nischen und Kammern. Hier konnte er normal laufen, das war gut, weil es die Abnutzung der teuren Diamant-Maulwurfshände verminderte. Die in seinen Helm eingebaute Grubenlampe schickte ihre Lichtstrahlen nach allen Seiten und was Podoll da sah, stellte eine kolossale Herausforderung an seinen ausgeprägten Besitztrieb dar. Überall schimmerten silberne und goldene Gesteinsschichten. Bunte Kristalle, größer als er selber, wuchsen in den Nischen und glitzerten in allen Farben. Tonnen von Gold und Silber und wertvollste Edelsteine, die er nur abzupflücken brauchte. Er zwang sich, nicht zu verweilen und in dem Reichtum zu schwelgen. Er hatte schließlich eine wichtige Mission zu erfüllen. Aber ein paar Proben mitzunehmen, das musste erlaubt sein.

Immer wieder brach er mit seinen Diamanthandschuhen einige der herrlichen Kristalle ab und steckte sie in die Taschen seines Raumanzugs. Im Nu waren diese gefüllt, nichts passte mehr hinein. Da sah er einen noch hübscheren Kristall, also schaffte er etwas Platz, indem er weniger schöne Stücke wegwarf. Dennoch wurde er immer schwerer und dicker. Er tauchte wieder in dunkles Gestein ein und spürte die Behinderung sehr deutlich, schaffte es aber nicht, sich von einem der Edelsteine zu trennen.
Plötzlich vernahm er ein tiefes Röcheln – konnte es sein, dass dies der Atem eines Lebewesens war? Vorsichtig bewegte Podoll sich weiter, schwamm nun waagerecht durch den Fels. Das Röcheln wurde lauter. Dann stieß er gegen etwas viel Härteres, wollte es zur Seite schieben, das gelang aber nicht.
Diese Sache versperrte ihm den Weg. Handelte es sich um ein Flöz aus einem bisher unbekannten Metall? Er tastete sich an der Gesteinsformation entlang, schaute sie sich genauer an. Da war ein hübsches Muster zu erkennen. Er versuchte, die Schicht oder den Gegenstand mit dem Diamanten zu ritzen, das gelang nicht. Es gab auf der bekannten Welt nichts, was härter war als Diamant. Er hatte ein völlig neues Material entdeckt. Wenn seine Mission erfüllt war, würde er unermesslich reich sein. Nicht hundert, sondern tausend Rolls-Royces würde er kaufen.
Er holte aus seiner linken Tasche die Edelsteine und legte sie zur Seite. Ganz tief in dieser Tasche hatte er nämlich einen kleinen, besonders wirksamen Sprengsatz zu genau dem Zweck versteckt, anderweitig Undurchdringliches zu zersprengen, um sich so seinen Weg zu bahnen. Er füllte die Edelsteine wieder in die Tasche, damit sie durch die zu erwartende Detonation nicht wegflogen, hielt ein Feuerzeug an die Zündschnur und paddelte so schnell wie möglich rückwärts, denn dieser Sprengstoff konnte seinem harten Anzug gefährlich werden. Er stellte den Lautsprecher in seinem Helm ab, der ohrenbetäubende Knall durchdrang dessen Hülle. Dann hörte er einen anhaltenden Ton, der an- und abschwoll. Es klang wie das Heulen einer Luftschutzsirene.
Podoll bewegte sich wieder in Richtung der undurchdringlichen Schicht – sie war nicht mehr vorhanden. Stattdessen gab es dort ein Loch, aus dem nicht nur das Geheul erklang, sondern auch ein rötlicher Schein leuchtete. Podoll steckte seinen Kopf hindurch und erschrak. Er schaute in eine Höhle, die so groß war wie der Hangar eines Luftschiffs. Aber da war kein Zeppelin, sondern ein Drache, der ihn mit Augen anstarrte, die so groß und rund waren wie die Räder des größten Baggers der Welt. Das Maul dieses Drachens stand offen; es wirkte wie die Laderampe einer Fähre, über die drei Lastwagen nebeneinander fahren konnten. Der Schlund des Wesens erinnerte allerdings eher an das Innere eines Hochofens, als an eine gemütliche Fähre. Und dann verklang der Ton und das Wesen schloss sein Maul. Es streckte seine baggerschaufelgroßen Pranken aus, pflückte Podoll von der Felswand und setzte ihn vor sich auf den glühend heißen Untergrund. Wie gut, dass Podoll den feuerfesten Anzug trug. Andernfalls hätte er sich den Hintern angekokelt.

(Ende Leseprobe 2)